Afghanistan nach der Übernahme der Taliban
Spätestens am abrupten Ende des 20jährigen Einsatzes wurde deutlich, wie wenig wir von Afghanistan verstehen. Aber wie ist die Situation jetzt, nachdem die Taliban die Macht übernommen haben?
Auch an dem Informations- und Gesprächsabend in der Zweiten Heimat, der zusammen mit Djordje Cenic, Caritas Höxter, veranstaltet wurde, konnten nur einzelne Bereiche beleuchtet werden. Aber eines wurde deutlich: Afghanistan war vorher kein sicherer Staat und ist es jetzt erst recht nicht. Wir haben eine Verantwortung für die Ortskräfte und ihre Angehörigen, die für die für die Bundeswehr gearbeitet haben. Wir müssen alles tun, um ihnen die Ausreise zu ermöglichen.
Frauen haben ihre Freiheiten verloren
Sana, seit 2 Jahren in Deutschland, zeichnete ein düsteres Bild von ihrem Land. Mit Trauer in der Stimme erzählte sie, wie katastrophal nun die Lage für die Frauen und Mädchen in Afghanistan sei. Sie dürften nur noch bis zur 6. Klasse in die Schule gehen, müssten eine Burka tragen, könnten nicht mehr ohne Begleitung auf die Straße, viele hätten ihre Arbeit verloren… „Für die Männer mag das Leben ja okay sein!“ meinte sie verbittert, „aber die Frauen haben große Angst, sie haben ihre Freiheiten verloren!“
Hungerkatastrophe droht
Aziz, seit 7 Jahren in Deutschland, erzählte, dass viele Menschen in Afghanistan jetzt unter Hunger leiden. Der Winter stünde vor der Tür und die Lage verschlechtere sich immer mehr. „Die Menschen müssen mit Lebensmitteln und Medizin unterstützt werden, sonst werden viele sterben!“ meinte er bedrückt. Politisch müsse sich das afghanische Volk selbst helfen. Er sei sicher, dass die Taliban sich nicht lange halten werden, aber humanitäre Hilfe sei dringend sofort nötig. Natürlich dürfe das Geld nicht an die Taliban gehen. Hilla berichtete, dass viele Hilfsorganisationen ja schon seit vielen Jahren in dem Land arbeiten. Sie würden versuchen, die Verteilung von Hilfsgütern über örtliche ‚Clanchefs‘ zu organisieren, da eine zentrale Unterstützung in der Tat nicht bei denen ankäme, die es nötig hätten.
Sicherer Status für afghanische Ortskräfte
In der Zentralen Erstaufnahme in Borgentreich sind zurzeit knapp 100 Ortskräfte mit ihren Familien untergebracht. Die Ortskräfte haben ein rechtskräftiges Visum und müssen kein BAMF-Verfahren durchlaufen. Damit haben sie theoretisch die Berechtigung, zu arbeiten und sich eine eigene Wohnung zu suchen. Für diejenigen, die in Deutschland bereits Verwandte hätten, wäre es sicherlich einfacher. Wie viele Menschen jetzt nach Warburg kommen werden, ist noch unklar.
Unsicherer Status für viele afghanische Flüchtlinge
Es gibt aber viele Menschen aus Afghanistan, die schon seit mehreren Jahren in Deutschland mit einem ungesicherten Status leben und nicht wissen, ob sie bleiben dürfen, wie z.B. Sana, die noch mit ihrer Familie in einer Flüchtlingsunterkunft leben muss. Sie wünschte sich verständlicherweise eine viel schnellere Anerkennung für die hier schon lebenden Afghanen und verwies darauf, dass es noch bis zum Juni 2021 Abschiebungen nach Afghanistan gegeben habe. Nur das Land NRW hatte Abschiebungen bereits vorher ausgesetzt. Hilla schätzte die Aussicht auf Anerkennung in der momentanen Situation günstiger sei als vorher. Es sei aber in jedem Fall wichtig, sich mit einem Anwalt zu beraten und dies nicht allein oder mit Ehrenamtlichen zu versuchen. Viele Fallstricke seien damit verbunden.
An diesem Abend gingen wohl die meisten nicht unbeschwert, sondern mit einem eher beklommenen und ohnmächtigem Gefühl nach Hause.